Vorwort der Autorin

Bekanntlich sind Kurzgeschichten nicht flüchtig zu lesen. Im Schneckentempo oder im Zeitraffer folgen wir den Zeichen aus Wörtern, Klängen und Bildern. Ich denke zum Beispiel an die Erzählungen von Heinrich Böll. Ein Satz, manchmal ein einzelnes Wort, kann uns zum Schlüssel für das tiefere Verständnis eines scheinbar belanglosen Ereignisses werden. Klingt es doch vertraut, wenn ich sage: „Ich versuche es immer wieder. Aber dann höre ich dieses Wort und alles ist aus.“
Ein Wort, das Geschichte schreibt?
Es sind die Empfindungen und Bilder, die uns gefangen halten und uns ein unfreiwilliges Verhaltensmuster abverlangen, weil wir an die eigenen, vorläufigen Grenzen von Verstehen und Handeln stoßen.
Ist aber für die Wertschätzung des Individuums die ihm eigene Geschichte bedeutsam, um wie viel mehr sollten wir nicht neugierig sein wollen, die verborgenen Eingänge zu den verzauberten Sälen in uns zu finden?
Sprache kann uns dabei helfen. Zunächst sind Sätze wie `der Ball ist rot´ `rot ist der Ball´ ìst der Ball rot´ nichts als aneinander gereihte Wörter in unterschiedlicher Reihenfolge. Den Kitt für diese Wörter liefern unsere Speicher im Kopf. In kurz belichteten Räumen um Wörter und Sätze lehnt hier und da ein Bild aus unserer persönlichen Requisitenkammenr. Erst jetzt wird eine Geschichte daraus. Meine Geschichte. Deine Geschichte.
Man könnte nun die Beschreibung des Balls perfektionieren, den einmaligen Ton der Farbe Rot herausarbeiten, das Augenmerk vielleicht auf den Schatten dort lenken, den der Ball wirft oder Die-mit-dem-Ball-spielen beobachten, das Bild vom Ball, das wir in uns tragen, erforschen oder die blauen Flecken nennen, die wir uns beim Spielen holen. Das sind Verletzungen. Und von Verletzungen erzählen meine Geschichten, von der unterschiedlichen Art der Menschen, damit umzugehen.
Einfach `nur so´ über den Schmerz eines Menschen zu schreiben, würde ich als entwürdigend empfinden.
Ich habe erlebt und beobachtet, wie einengend der Schmerz den Alltag des Schmerztragenden bestimmt.
Das Ausüben von Gewalt, Mensch gegen Mensch, ist eine alltägliche Ursache von Schmerz. Die Antwort darauf kann ebenso gewaltig wie in „Sadika“ sein oder sich auf stilisierte Fragmente zurückziehen, wie ich es zum Beispiel in „al segno“ zeige.
Dort heißt es „Nicht alles war gesagt“. Dieser Satz widerspiegelt auf der einen Seite den wahnsinnigen Leidensdruck, unter dem in diesem Fall die Frau steht, weil sie als Liebende abgewiesen wird. Andererseits ist der Satz die Chiffre, über die sich der Leser auf die Bilder, die während der Lektüre in ihm entstehen, einlassen kann.
Aus beiden Gründen habe ich Ingeborg Bachmann diese Erzählung gewidmet.
Trotz der Tragik, die ich beschreibe, möchte ich erreicht haben, dass die LeserInnen sich in meinen Geschichten wiederfinden. Vielleicht ist es nichts als ein Satz, durch den sie mit dem Empfinden eigener Stärke aus dieser Lektüre herausgehen.

Holzminden im Mai 1997
Amalie Wissing