Aus dem Herzen Deutschlands

Erzählungen und Textcollagen

von    Amalie Wissing    1997

 

Painting ©reated by Knut Kargel


Zu diesem Buch
Sprache und Schreiben sind mir Wegbegleiter seit jeher. Sprache als eines unserer Werk-zeuge, mit denen wir töten oder Türen öffnen. Schreiben als eine besondere Form der Annäherung an das, was Realität genannt wird.
Als ich vor Jahren erlebte, wie die Muttersprache in mir erstarb, machte ich mich auf in den Süden. Wie ein greises Kind habe ich in der neuen Sprache, ihrem Klang und ihren Bildern die Welt neu entdeckt. Und mich in ihr.
Ich konnte wieder schreiben. Jetzt in spanischer Sprache.
Ángel Caffarena in Málaga hat in seiner Reihe „Cuadernos de David“ meinen ersten Gedichtband „Rosas y Azafrán“ veröffentlicht.
Jetzt lebe und arbeite ich seit einigen Jahren im Landschulheim am Solling. Dort habe ich diese Erzählungen geschrieben. Vor allem Johanna, Dorota, Svenja, Nora und mein Kollege Reinhard Pietsch haben mich immer wieder gefragt, wann ich veröffentliche.
Das Buch liegt nun vor.
A. W.

al segno

für Ingeborg Bachmann

Painting ©reated by Pejman Tadayon

Du erinnerst dich?

Kein Weg wird uns gemeinsam alt.
Mir folgt kein Schritt dem anderen.
Kein Sternenlicht, so nah es scheint,
Bricht sich in dieser Dunkelheit ...

Die Gewerkschaften hatten zum Generalstreik aufgerufen. Ich saß in meinem Büro und tippte eine Übersetzung zu Ende.
Ein Anruf. Du. Warme Stimme. Wohlig.
- Musik, ein angenehmes Thema, sagte ich.
- Dass es dich überrascht, sagst du.
Aber warum dieses Kauderwelsch?
- Briefe. Donaueschingen. Termin.
- Jetzt?
- Mit den Unterlagen. Vier Uhr dreißig.
- Richtung Norden. Zentrum. Links.
Wie er wohl aussieht, frage ich mich. Schaue zu, wie das Auto parkt. Während er aussteigt, höre ich ihn sprechen und dass er die Eltern mitbringt, weil man gemeinsam zu Abend isst.
Wir erkennen uns.
Papiere. Blätter. Langsam. Schritt für Schritt. Zwischen den Zeilen das Versinken im willenlosen Nichts. Aber wir sind uns einig. Dein Vater lädt zu Fisch ein. Langes Plaudern und noch am gleichen Abend ein Hotel am Ort. Keine Minute ging verloren. Nicht alles war gesagt.

Madrid. Frankfurt. Paris.
..wiegt himmelsblau die klaren Nächte...

Und du?
Wohnt ihr noch immer in dem Vorort?
Ich werde mich nie daran erinnern, wie er heißt, denn wenn ich dich in dem zugeknöpften Lodenmantel, den weißgesträhnten Lockenkopf leicht nach vorne geneigt, auf den dicken Specksohlen deiner Lieblingsschuhe den Boulevard hinab federn sehe und deine braune Aktentasche schwer von Partituren an der rechten Hand baumelnd mir ade winkt, ist es doch gleich, welchen Namen der Ort trägt, an den du zurückkehrst.

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