Recherchen im Fall L. Fernando Rodriguez

Painting ©reated by Eduardo Nuñez Valbuena

„Er ist Anwalt. Früher ging er mit seiner Gitarre über der Schulter am Strand spazieren. Jetzt sieht man ihn regelmäßig mit anderen Frauen. Regelmäßig heißt jeden Tag. Immer mit einer anderen. Er bevorzugt nicht nach Alter, Farbe oder Sonstigem. Er geht mit jeder, die ihn beachtet“, erzählte mir der Geschäftsführer vom Hotel La Roca.
„Richtig. Anwalt ist er. Seit Jahren kommt er mit seinen Freunden zum Abendessen hierher, und er lädt jedes Mal die Zukünftige und Verflossene dazu ein. Dazu heißt, seine Frau nimmt nicht daran teil. Sie nimmt nie daran teil. Er spricht nicht von ihr. Er spricht nur von den Kindern“, gab mir der Besitzer vom Cordero mit auf den Weg.
„Er ist Strafverteidiger. Ein brillanter Redner und scharfer Analytiker. Seit Jahren schreitet er elegant vom Scheitel bis zur Sohle in den Ring und rettet seine Mandanten“, äußerte sich der Kollege einer unbedeutenden Kanzlei.
Omen sei nomen. Und retten, gab er preis, sei die Übergabe bestimmter Summen zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
„Wenn Sie mehr über ihn in Erfahrung bringen wollen, müssen Sie in den zweiten Stock. Erste Tür links. Frau Grüber. Die bearbeitet den Fall“, antwortet mir der Portier der Nachmittagsschicht und weist auf den Fahrstuhl.
Die Tür steht offen. Ich trete ein.
„Habe ich doch schon gesagt“, brüllt eine Dunkelhaarige ins Telefon, „33, 1.96, 70, grüne Augen, schwarzes Haar. Trägt Linsen und Schusswaffen. Ja, mit Lizenz. Erinnert mich vom Bild her an Elvis. Sonst noch was?“
„Den Namen! Ich brauche noch den Namen!“ kommt unüberhörbar durch die Leitung zurück.
„Ach so, ja, einen Moment“, schreit die Dunkelhaarige wieder, „sofort, ich hab´s. Hier steht´s. Fernando Rodriguez. José Luis Fernando Rodriguez. War es das?“
„Fax mir das Bild durch! Ich steh auf Elvis. Tschüs, Mercedes.“
„Tschüs, Toyota“, lacht die Dunkle und legt auf.
„Guten Tag, Frau Grüber, ich komme...“, nicht dazu, weiter zu reden.
„Sie müssen Herr Delmonte sein. Ihr Verlag hat sie angekündigt. Ich weiß Bescheid“, fällt sie ihm ins Wort. „Sie recherchieren für ihren Roman. Ein interessantes Thema. Niemand weiß, wo Herr Fernando sich aufhält. Seine Frau hat die Vermisstenanzeige gestern gegen sechs Uhr früh aufgegeben. Seit drei Tagen habe er seine Wäsche nicht gewechselt, meint sie.“
„Meint sie. Für den Mann mit haut-goût ist der Corte Inglés groß genug, als dass er am Wühltisch auffallen würde“, werfe ich ein. „Haben Sie ein Bild von ihm?“
„Ich wollte es gerade meiner Kollegin in Málaga faxen. Sie steht auf Elvis. Aber bitte.“
„Eine Ähnlichkeit ist da. Der Mund, würde ich sagen. Wenn er auch so singt...“
Sie unterbricht mich erneut: „Er spielte Gitarre...“
„Warum spielte? Ist er ist tot?“ zahle ich mit gleicher Münze zurück.
„Er spielte Gitarre, als er noch kein Anwalt war. Es gibt Strafverteidiger, die tot sind und solche, die es noch nicht sind. Zu welchen er gehört, weiß ich nicht“, antwortet sie verärgert. „Hier, nehmen Sie die Unterlagen. Dort haben Sie einen Tisch. Ich gehe um sieben“, sagt sie, und, etwas versöhnlicher gestimmt: „Im ersten Stock ist ein Kaffeeautomat. Wasser gibt´s im Eisschrank um die Ecke.“
„Das wird eine Schlagzeile“, vermute ich noch im Stehen.
„Strikte Anweisung vom Innenminister. Absolute Funkstille bis Donnerstag.“
„Morgen soll Martinez ausgeliefert werden.“
„Und Lola Flores tanzt im Tivoli.“
„Der eine singt, der andere tanzt.“
„Es wird schon seinen Grund haben.“
Sie hat mir einen Ordner in die Hand gedrückt, den ich in einer Stunde möglicherweise hastig durchblättern könnte und sie weiß das. Ihr Lächeln verrät sie.
„Stehen Sie auch auf Elvis?“ frage ich, während ich mich an den Tisch setze.
„Ich habe lieber festen Boden unter den Füßen“, schießt sie herüber und kramt in ihrer Handtasche.
Von meinem Platz aus sehe ich das geschäftige Treiben auf der Straße.
„Warum interessiert Sie das Thema?“ fragt sie so beiläufig wie möglich.
„Höhenangst. Vielleicht auch Tiefenangst“, antworte ich, wende mich den Unterlagen zu und verspüre nicht die geringste Lust, eine Erklärung abzugeben.
Sie lässt mich in Ruhe blättern.
Manche Dokumente, mehrfach unterzeichnet und besiegelt, erinnern mich unweigerlich an meine Sporturkunden und andere alberne Diplome.
Plötzlich kann ich das Gefühl der eigenen Lächerlichkeit nicht mehr abwenden und frage mich, warum ich beinahe schon süchtig die geordneten Notizen unterschiedlichster Amtsinhaber über das unordentliche Leben eines Herrn Fernando Rodriguez, Luis mit Vornamen, durchwühle, als wäre ich ein Trüffelschwein.
Verärgert hole ich mir einen Kaffee und zünde mir eine Zigarette an. Mit dem Blick auf die Straße verlieren sich meine Gedanken.

Es ist kurz nach der Siesta. Ein warmer Nachmittag im Sommer. Mein Zimmer ist in gelbes Licht getaucht, und die langen Vorhänge wölben sich bedächtig im Wind. Draußen reiben Grillen sich die Flügel wund.
Um mich herum viele Bücher, von denen ich nur einige lesen werde. Neben dem Kamin ein niedriger Holztisch. Eine Vase mit verstaubten Rosen. Daneben die handgeschnitzte Zigarrenkiste meines Vaters.
Sein Bild steigt mit einer solchen Heftigkeit in mir auf, dass ich aufstehe, die hölzerne Kiste in die Hand nehme und sie an mein Ohr haltend schüttele.
Ich öffne sie.
Seit Mutters Tod müssen diese Zigarren in der Kiste liegen und vor sich hin trocknen. Viele Jahre hat sie mit übertriebener Sorgfalt darauf geachtet, dass immer frische Zigarren in der Kiste vorrätig waren, falls ihr José doch noch eines Tages zurück kommen sollte.
Nachdem meine Schwestern geheiratet hatten, war sie nicht mehr so genau und vergaß ab und zu, dass sie noch auf ihn wartete.
Vorsichtig nehme ich eine der Zigarren heraus und rieche daran.
Tabakbrösel fallen auf den Boden.
Ganz leicht halte ich die Zigarre, und beinahe wäre sie durch die Röhre des ausgetrockneten Deckblattes wie eine Rakete zu Boden gesaust. Aber im gleichen Augenblick habe ich fester zugepackt und sie dabei zerbrochen.
Als ich sie dann zwischen meinen Fingern zerrieb, habe ich die Dörre gespürt und den Geruch von Alter.
Die Kiste habe ich verschenkt.
Sie war zu schön.
Ich drücke meine Zigarette aus und schaue über den Brillenrand hinüber zu Frau Grüber.
Sie muss mich die ganze Zeit über beobachtet haben. Den Kopf aufgestützt, versunken an ihrem Schreibtisch sitzend, blickt sie mich an.
„Möchten Sie den Aperitif mit mir nehmen?“ fragt sie und ihre Stimme klingt anders als vorher.

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