Ich liebe Götz George
Erzählungen
von Amalie Wissing 1999
Painting ©reated by Gisela Brunn
Ein florentinischer Sekretär
Der Mann legte das Buch zur Seite und schaute überrascht die Frau an, die an seinem Tisch Platz genommen hatte.
Sie war eine Spielerin. Keine Gesellschaftsspielerin. Nein, nein, nicht das was Sie denken. Glücksspiel. Sie zockte in Parks, Reisezügen, Straßencafés.
Stellen sie sich vor, eröffnete der Mann und legte seine Karten auf den Tisch. 1527 stirbt Machiavelli und 1559, das heißt zweiunddreißig Jahre nach seinem Tod, verbrennen ihn die Jesuiten zu Ingolstadt. Wie sie das wohl gemacht haben?
Jesus wird alle Ostern angenagelt. Ein Fest. Seit zweitausend Jahren, sagte die Frau.
Damit hat er diesem gegenüber einen Vorsprung, sagte der Mann. Kaum jemand kennt ihn.
Jesus war dreiunddreißig, als er starb, sagte sie wie in Gedanken.
Fakten zählen. Nur Fakten. Vorher oder nachher spielt keine Rolle.
Aber er war zumindest anwesend bei seiner Kreuzigung, sagte die Frau.
Richtig, sagte der Mann.
Sagen wir, das macht drei Punkte? lachte sie. Bingo für den King!
Sie meinen, es ist nicht verwunderlich, dass so wenig über diesen hier geredet wird? Er deutete auf das Buch.
Mal sehen. Sein Blatt ist gar nicht so schlecht, wie ich dachte, sagte sie. Schließlich kennt man seinen Namen noch.
Gut. Bringt einen Punkt, sagte er lustlos.
Und seine Schriften, sagt sie. Die machen immerhin zwei Punkte.
Und weiter? fragte er ungeduldig.
Tja, sagte sie und zog die Verbrennungskarte. Also... in Indien, sagte sie, überschüttet man Frauen mit Benzin und steckt sie an sie.
Gibt es Daten, Zahlen, Namen? wollte er beinahe zornig wissen.
Eher unbekannt oder ungenau, gab sie an.
Eigene Veröffentlichungen vielleicht? fragte er ungeduldig.
Überlebende berichten, sagte sie, den Kopf wiegend.
Regelwidrig, sagte er schroff.
Und die Erlebnisschiene? beharrte sie.
Kennen sie vielleicht Jesus live: Wie ich ans Kreuz genagelt wurde? Unmöglich! wies er sie empört zurück.
Zeit spielt doch keine Rolle, gab sie zurück.
Aber Fakten! konterte er.
Indien zählt, lächelte sie leise. Mit Verbrennung zwei Punkte.
Zu wenig, gab er sich siegessicher. Viel zu wenig. Einen Tee zum Gedenken?
Sie meinen den five-o´clock tea?, fragte sie zerstreut und schaute auf die Uhr.
Es wäre mir eine Freude, erwiderte er großherzig.
Mit einem Kopfnicken nahm sie an.
Der Ober präparierte den Tisch. Auf dem gestärkten, schimmernd weißen Damast ordnete er Tassen, Sahnekännchen und Zuckerdose aus feinstem Eierschalenporzellan artig und adrett zueinander. Entzündete die Teelichter und schob die Kannen mit dampfendem Pekoe auf dem Stövchen noch einmal zurecht.
Zwei Minuten, dann ist er soweit, sagte er leise und entfernte sich.
Eine Zeremonie, sagte die Frau und strahlte.
Mit einem wohlwollenden Blick stimmte der Mann ihr zu.
Danke, sagte sie feierlich. Das macht drei Punkte für die Frauen in Indien.
Vornehm erhob sie sich, grüßte und ging.
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