Die Schwatte

Kurzgeschichte

Amalie Wissing   11.08.2009

Inhaltsverzeichnis

Painting ©reated by Gisela Brunn

Kurzgeschichte






Die Schwatte

Painting ©reated by Gisela Brunn

- Guck doch! flüsterte das Mädchen. Der Himmel riecht wie Pflaumenkuchen!
Sie zupfte am Ärmel des Mannes, der auf der Parkbank saß. Er stierte auf seine Hose.
Das Mädchen rümpfte die Nase.
Der Mann hob den Blick.
- Was willst du? rang er sich ab.
- Ich heiße Kirsten, sagte sie. Ich wohne da!
Ihr Finger folgte der Allee.
- Schlossstraße, was? kicherte der Mann.
- Und du? fragte Kirsten.
Er zuckte mit den Schultern.
Im nahen Gebüsch raschelte es.
Kirsten wich zurück.
- Hau ab! torkelte eine Frau heran, ließ sich auf die Parkbank fallen und rutschte zu dem Mann. Los, los! scheuchte sie das Mädchen. Hau ab!
- Du stinkst! hob Kirsten die Stimme, drehte sich um und lief weg.
- Was wollte die Schwatte? schnodderte die Frau.
- Pflaumenkuchen, antwortete der Mann und spuckte aus.
- Riechst 'e wie 'n Bäcker!? höhnte die Frau.
- Nee, murmelte der Mann und stierte auf seine Hose.
- Die sollten ihre Blagen aufpassen, die.. die.., klappte ihr Mund auf. Die Frau kippte um und schnarchte.

- Aufwachen, Prinzessin, Frühstück ist fertig! hörte Kirsten die Mutter. Heute geht 's in den Garten Pflaumen pflücken.
- Darf ich Mikka baden? gähnte die Tochter und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
- Klar. Wenn du dich sputest, sagte die Mutter und schob die Vorhänge zur Seite.
- Und wenn ich etwas falsch mache?
- Kleine Fehler sind erlaubt, lächelte die Mutter und stupste sie an. Bei großen übernehme ich. Abgemacht? Und jetzt raus aus den Federn! Ein wunderschöner Tag wartet auf uns.
- Und wann kommt Papa wieder? rief Kirsten ihrer Mutter nach, die auf der Treppe in die Knie ging.
- Weißt du, sagte sie beim Frühstück, ich vermisse Papa genau wie du.
- Und Mikka, fragte Kirsten, glaubst du, dass Mikka ihn auch vermisst?
- Ich bin mir nicht sicher, antwortete die Mutter. Warum fragst du?
- Er hat ihn noch nie gerochen, überlegte das Mädchen laut. Und seine Stimme kennt er auch nicht.
- Aber vielleicht träumt er von ihm. Weiss man 's? hielt die Mutter inne.
- Mama, sprudelte es aus Kirsten heraus, glaubst du, dass Mikka schreit, wenn er Papa das erste Mal sieht?
- Warum sollte er schreien, mein Engel? sagte die Mutter und legte den Arm um ihre Schulter.
- Weil du weiß bist und Papa schwarz, sagte Kirsten und sah die Mutter mit großen Augen an. Schwarz und ein bisschen rosa, redete sie schnell weiter.
- Hier! Sie tippte auf ihre Handflächen. Und da, lispelte sie, an der Zunge.
- Ich hab da eine Idee, überlegte die Mutter. Was hältst du davon, wenn wir ins Atelier gehen und malen?
- Und die Pflaumen? fragte Kirsten.
- Die Pflaumen freuen sich, wenn sie noch einen Tag Sonne tanken. Und morgen sind sie um so süßer.

Im Atelier krabbelte Mikka ungestört den Bällen hinterher und brabbelte und sabberte.
Vor ihrer Staffelei wechselte Kirsten von einem Bein auf das andere.
- Mama, quengelte sie und legte die braunen Kreiden zur Seite. Ich kann kein Gesicht. Das ist zu schwer. Soll ich Papas Hände machen?
- Wie du willst, antwortete die Mutter. Einem Künstler darf man nie vorschreiben, was er zu malen hat.
- Und einer Künstlerin?
- Auch einer Künstlerin nicht, versicherte die Mutter. Aber du kannst mir zuschauen, wenn du willst.
- Ich mach erst die Hände, sagte Kirsten und suchte das richtige Rosa. Jede Kreide, die sie aufnahm. legte sie wieder zurück. Dann setzte sie sich, stützte beide Arme auf und ließ die Hände fallen.
- Schau, sagte sie, meine Hände sind wie Flügel. Und
sie schloss die Augen und überließ sie dem Wind.
- Kirsten, pass auf! rief die Mutter.
Zu spät. Der Topf war umgekippt und das Leinöl lief von der Tischkante auf Mikkas Kopf.
Der blinzelte und quietschte und trällerte und grabschte mit öligen Händchen nach dem, was sich da auf ihn zu bewegte.
- Das hätte sehr schief gehen können, sagte die Mutter als sie Mikka bereits auf dem Arm hatte. Glück gehabt!
- Tut mir leid, sagte Kirsten und traute sich nicht zu sagen, dass genau jetzt die Haut des Bruders so bunt und fein schimmerte wie die des Vaters.

Als Mutter und Mikka ins Haus gingen, war Kirsten froh, alleine zu sein. Sie nahm die Kreiden auf und malte wie in Trance. Eine Farbe gesellte sich zur anderen. Striche, Linien und Tupfen wurden nebeneinander und übereinander gesetzt, verwischt und verstrichen. Licht kam zu Schatten und Schatten zum Licht und Kirsten
merkte erst auf, als die Mutter ihr über die Schulter schaute.
- Wunderschön! staunte sie. Ja, das ist sein Blick. Und wie stolz er dich anschaut. Glückwunsch, meine Große! Du hast ein Kunstwerk geschaffen.
- Ich weiß nicht, lächelte Kirsten und betrachtete ihre Hände. Plötzlich war alles da und meine Hände haben das von ganz alleine gemacht.
- Ja, es ist ein Geheimnis, umarmte die Mutter sie. Weiter so! Heiß es einfach willkommen...
- Komm, sagte sie später beim Spaziergang. Lass uns die Allee nehmen.
Kirsten hüpfte neben dem Kinderwagen einher und dann und wann verscheuchte sie Mikka die Fliegen.
- Der Platz für dein Bild ist goldrichtig, sprach die Mutter nach einer Weile. Da im Wohnzimmer und genau an der Stelle fällt das richtige Licht.
- Glaubst du, es ist noch da, wenn wir zurück kommen? fragte Kirsten und hüpfte weiter.
- Bestimmt, sagte die Mutter und hing ihren Gedanken nach...

- Da sieh mal einer an, versetzte die Frau dem Mann auf der Parkbank einen Stoß.
- Die Schwatte! Mit Familie, feixte sie. Haste den Pflaumenkuchen fertig?
- Lass mich! brummte der Mann und senkte den Kopf.
- Auf ihre Schwatte da, verschränkte die Frau die Arme, sollten sie mal besser aufpassen. Is 'ne Streunerin. Heut früh war se da. Bisschen ballaballa im Kopp.
Sie schaukelte mit den Beinen.
- Wollte Pflaumenkuchen. Hier, drehte sie den Kopf zur Seite, von meinem Erich, und und rammte ihren Ellenbogen in seine Rippen.
- Sag du doch auch was!
Der Mann stierte auf seine Hose.
Kirsten schüttelte Kopf und Oberkörper als die Mutter sie ansah. Mit einer Hand drängte sie sie weiter. Und mit der anderen hielt sie sich die Nase zu.

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