Annas Chauffeur wartet

für Anna S.

Painting ©reated by Lidia Simeonova

Dein Chauffeur wartet, ruft Monika, und diese Pflanzen sind durstig wie ich, denkt sie, während sie den Flügel der Balkontür zwischen den Terrakotten mit flammend roten Geranien verkeilt.
Langsam schiebt sich vom östlichen Horizont her ein dunkelgraues Wolkenband in das Nachmittagsblau. Eine leichte Brise weht und wirbelt jenen am Strand feinen Sand in die Augen.
Wieder einmal warten, murmelt Jürgen. Mit letzter Kraft kippt an seinem lasch ausgestreckten Arm der Knobelbecher. Träge rollen die elfenbeinernen Würfel auf der blauschwarzen Granitplatte auseinander.
Mich würde es schon überraschen, wenn sie nur irgendwann einmal nicht unpünktlich wäre, gähnt Martin müde.
Ich werde nie pünktlich sein, klingt eine warme Stimme vom Flur her. Allein die Vorstellung, hört man sie näher kommend, dass zwei Körper zum selben Zeitpunkt am selben Ort zusammentreffen sollen, kommt mir einer Kampfansage gleich und entzündet ein Feuer an diesem Punkt, genau hier zwischen meinen Rippenbögen. Und ihre perfekt manikürte Linke, auf Bleistift hohen Absätzen, im fast geknöpftem Sommerkleid, die rechte Hand in Schopfhöhe auf dem Türrahmen, umschreibt die Zone ihres goldschimmernden Solarplexus. Und dieser Schmerz ist so unerträglich, glaubt mir, daß ich keine andere Wahl habe, als durch ein kleines Hinauszögern meiner Ankunft einen Abstand zwischen mice and men zu zaubern, in dem jeder von uns Atem holen kann, sagt sie mit strahlendem Blick in die erschöpfte Runde und löst sich auf wie eine Fata Morgana.
Klein, sagt sie, brummt Wolfi. Vorsorglich wie wir sind, zählen wir schon nur die Stunden. Und das vierundzwanzig mal. Aber erst dann klickt ja bei dir die Zwei ein. Bitte schön, ich bin kein Hellseher, aber irgendwie beunruhigt es mich schon. Aber sie, sie bleibt ruhig dabei, blendet er sich langsam aus, vollkommen ruhig. Ein großer Schluck Duque de Alba zerrinnt auf seiner Zunge.
Ich könnte das nicht, seufzt Petra.
Sie weiß halt geschickt mit ihrer Zeit umzugehen, legt Klaus vor. Besser gesagt, mit leeren Zeiträumen oder Zwischenzeiten, wie sie so etwas nennt. Im Fahrstuhl zum Beispiel.
Da passiert doch sowieso nichts weltbewegendes, ist von Martins Seite zu vernehmen.
Sag das nicht, widerspricht Jürgen ihm.
Es sind und bleiben Augenblicke erzwungenen Innehaltens und unsere plötzlich einsetzende Regungslosigkeit, in der man uns von A nach B abwärts oder aufwärts bewegt, ist verwirrend und peinlich genug für den, der das Ruder lieber selber in der Hand hält. Er lacht. Mich kann auch das schönste und ausgeklügelste Interieur nicht über dieses Empfinden einer gewissen Hilflosigkeit hinweg täuschen.
Das ist genau der Markt, den die Industrie braucht, wendet sich Klaus Jürgen zu und mit weit ausladender Bewegung in Wolfis Richtung fährt er fort. Die Wissenschaft redet doch auch mit. Also ich spreche hier von uns und kann nur sagen, dass wir außerordentliche Fragestellungen mit großer Selbstverständlichkeit an euch heran tragen. Ist es nicht so? Aber warum sollten Frauen das verstehen? Sie nutzen die Zeit, um ihr Makeup zu korrigieren oder die Frisur zu richten, lässt er im Raum stehen.
Ich habe sie einmal erlebt in so einem leeren Zeitraum und mir war, als gäbe sie dem Geschehen um uns herum ganz behutsam und leise einen anderen Rhythmus. Ganz durchlässig fühlte ich mich, beginnt Monika.
Sie ist bestimmt keine, die mit kühler Berechnung und großem Auftritt zu spät kommt, fällt Petra ihr ins Wort.
Sie kann gar nicht rechnen. Sagt sie jedenfalls, wirft Ida kopfschüttelnd ein. Sie meint, sie weiß nicht einmal, was eine Zahl ausdrücken soll, oder? Sie hebt ihre Stimme, damit Anna im Nebenzimmer sie hören kann. Zwölf mal zwölf Rappen zählt sich weniger als eine Tote, sagst du doch, oder? ruft sie laut und übermütig.
Erklär mir einer, ja, schallt es zurück, wie die wohlschmeckende Ananas von heute trotz der Unbillen ihrer langen Reise zu einer anscheinend nicht beliebigen Zahl von umgerechnet vier Mark achtundneunzig zusammenschrumpft !
Ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll, mit Zahlen ins Gespräch zu kommen, mit ihnen zu plaudern, hört man ihre Worte, manche bisweilen seltsam in die Länge gezogenen und ab und zu vom Geräusch immer wieder hingestellter Tiegel und Töpfchen unterbrochen, und dass sie sich mit ihnen anfreunden müsste, mit den Zahlen, meint sie, und bis es so weit sei, eben alles, was damit zu tun habe, nur aus halb geöffneten Augenwinkeln betrachten könne, weil solch stumpfe Welt sie schwindelig mache.
Eine sieben von einer acht unterscheidest du schon! Jürgens Stimme klingt mürrisch, er lehnt sich behaglich in dem weichen Ledersessel zurück und bläst mit runden Lippen den Rauch seiner Monte Christo zur Decke hinauf. Sie weiß genau, wann sie bieten muss, knurrt er versöhnlich. Ist es nicht so, darling? Natürlich nicht um des Geldes willen, hebt er an, das ist Madame ein Muster ohne Wert, und seine Augen glänzen.
Im Nebenzimmer ist es still geworden.
Hast du meinen Mascara noch in deiner Jacketttasche, mein Herz?
Anna kommt herein. Sie sieht hinreißend aus.
Sag, wie gefalle ich dir besser?
So? Sie zeigt ihm eine linke Gesichtshälfte, die dezent fernöstlich gehalten ist, oder lieber so? Zarte Sommerfarben aus Paris schmücken ihren rechtswangigen Teint.
Anna, Liebling, lass es so, wie es ist. Ich kann damit leben.
Wie du meinst, dann mach ich mir die Wimpern im Taxi. Seid ihr so weit? Der Chauffeur wartet.

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